Stan Sakai über Yamato Takeru

 

Yamato Takeru ist der berühmteste der legendären Helden Japans. Er war der dritte und jüngste Sohn des Keikō-tennō und also ein Enkel des Suinin-tennō. Ursprünglich hieß er Ōsu no Mikoto („kleiner Mörser“) und hatte einen älteren Zwillingsbruder, der Ōsu no Miko hieß („großer Mörser“). Diesen tötete er, bevor er als Sechzehnjähriger vom Hof geschickt wurde, um die rebellischen Kumaso-„Bärenmenschen“ zu besiegen.

 

Yamato Takeru war der Held zahlreicher Feldzüge. Viele seiner Siege waren allerdings nicht nur seiner Stärke als Krieger, sondern auch seiner manchmal hinterlistigen Gerissenheit geschuldet. So verkleidete er sich zum Beispiel als schöne Dienstmagd, um in die Nähe der Anführer der Kumaso-„Bärenmenschen“ zu kommen. Oder er vertauschte das Schwert des Izumo Takeru mit einer Nachbildung aus Holz, bevor er ihn zum Duell herausforderte. „Takeru“ bedeutet übrigens „tapferer Krieger“ oder „Held“ – jede Familie, die etwas auf sich hielt, hatte einen Takeru in ihren Reihen. Ōsu no Mikoto erhielt den Ehrennamen „Held von Yamato“ von einem der Kumaso-Anführer verliehen – unmittelbar bevor der Prinz ihn tötete und „aufspaltete wie eine reife Melone“.

 

Bevor er später wieder zu einer Kampagne aufbrach, besuchte Yamato Takeru den großen Schrein in Ise, wo er aus den Händen seiner Tante, der Hohepriesterin Yamato-hime, das Schwert Ame no Murakumo no Tsurugi („Das Schwert aus dem Dorf der heraufziehenden Wolken“) empfing. Später gab er diesem Schwert den Namen Kusanagi no Tsurugi („Das Schwert, das Gras schneidet“), nachdem es ihm in einem brennenden Feld das Leben gerettet hatte.

 

Die Ehefrau des Yamato Takeru war die Prinzessin Ototachibana, die ihn auf all seinen Feldzügen begleitete, wodurch sie eine sonnengebräunte Haut bekam und alle ihre Gewänder schmutzig und löchrig wurden. Dann begegnete er der Prinzessin Miyazu, einer zarten Schönheit mit einer Haut „wie Kirschblüten“, der er seine Liebe gestand. Er versprach ihr, eines Tages zurückzukehren und sie zu seiner Braut zu machen. Dann bemerkte er, dass Ototachibana alles mitgehört hatte. Als dann Yamato Takeru und seine Entourage die Straße von Kazusa überquerten, vermutlich die heutige Bucht von Tokio, kam ein schwerer Sturm auf und die Boote drohten zu kentern. Ototachibana bot in einem Stoßgebet dem Herrscher des Meeres ihr Leben an, im Austausch für eine sichere Überfahrt ihres Gemahls. Dann stürzte sie sich in die Fluten. Sie war kaum untergegangen, als der Sturm nachließ und die Wolken aufrissen. Zu spät erkannte Yamato Takeru, welchen Schatz er verloren hatte. Jahre später stand er auf einem Berg, von dem aus er die Stelle sehen konnte, an der Ototachibana ihr Leben für ihn hingegeben hatte. Er streckte seine Arme aus, seufzte dreimal tief und sagte: „Meine Frau!“ – Bis heute heißt die Stelle „azuma“ („meine Frau“).

 

Es existieren mehrere Varianten der Geschichte um Yamato Takeru und den kami des Ibuki-san. In einer ist der Held nicht in der Lage, einen ihm den Weg verlegenden Eber zu töten, und er kann auch nicht eine kurz darauf auftauchende Schlange besiegen, weil ihn ein heftiger Eisregen vom Berg vertreibt. Später stirbt er an Erschöpfung. In einer anderen Version sucht er, nachdem er die Schlange getötet hat, ein paar heiße Quellen auf und gewinnt seine Gesundheit und seine Kraft zurück. Die Version, in der er die Schlange zwar besiegt, danach aber ebenfalls stirbt, ist wahrscheinlich die am weitesten verbreitete. Sie steht so im Kojiki, dem ältesten Geschichtsbuch der Japaner. Aufgeschrieben wurde es um 712 u.Z. von dem Schriftgelehrten Ō no Yasumaro, nach Diktat von Hieda no Are, der oder die auf Geheiß des Temmu-tennō (631-686) die ganze, bis dato mündlich überlieferte Geschichte Japans auswendig zu lernen hatte.

 

Die heißen Quellen, in denen sich Yamato Takeru nach seiner Begegnung mit dem kami erfrischt haben soll, heißen heute „Isame no Shimizu“ („Das klare Wasser, in dem er wieder zu Sinnen kam“ oder „Das klare Wasser, in dem er aufwachte“); die Gegend, in der er sich kaum auf den Beinen halten konnte, heißt „Tagino“ („torkeln“, „taumeln“); und nachdem er einen Stock zu Hilfe genommen hat, um sich aufrecht zu halten, überwand er „Tsuetsuki-zaka“ („Die Böschung mit dem Krückstock“). Isame no Shimizu und Tsuetsuki-zaka liegen ziemlich genau 50 km Luftlinie auseinander, der Ibuki-san ist 11 Kilometer von den Quellen entfernt. Nicht nur für einen auf den Tod Verwundeten stellt solch eine Strecke in bergigem Gelände eine echte Herausforderung dar.

 

Yamato Takeru starb im siebten Monat seines dreißigsten Lebensjahres in Atsuta in der Owari-Provinz. Es ist nicht klar, ob er an Ermüdung und Überanstrengung starb oder ob er vergiftet wurde. Seine Seele stieg in Gestalt eines weißen Vogels zum Himmel auf.

 

Seine Frauen stimmten beim Begräbnis des Prinzen vier Gesänge an. Diese Lieder wurden seither, bis zu den Begräbnisfeierlichkeiten des Meiji-tennō (1852-1912), beim Tod eines jeden kaiserlichen Beherrschers Japans gesungen.